Nina von LiBROMANIE stellt auch heute wieder die traditionelle Montagsfrage, und diesmal ist die Frage beinahe perfekt für mich, mir ist noch selten eine Antwort leichter gefallen:
Gibt es Autoren, die du lieber im Original liest?
Ja klar, nämlich alle die ich problemlos im Original lesen kann. Ich habe das Glück, vier Sprachen (Englisch, Deutsch, Katalanisch und Spanisch) einigermaßen fließend zu beherrschen und ich lese in allen vier Sprachen gleichermaßen gerne, auch wenn ich in allen vier Sprachen hin und wieder einen Babelfisch ein Wörterbuch benötige. Und in jeder Sprache bin ich ein gänzlich anderer Mensch, ein gänzlich anderer Leser, mit einem gänzlich anderen (Sprach-)Empfinden und einer gänzlich anderen Mentalität. Aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden …
Wittgenstein sagte einmal sehr weise: “Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt.” – und auch wenn ich dem voll und ganz zustimme, ist es bei Büchern etwas anders … schließlich kann ein Buch ein kleines Guckloch in eine Welt, die ich nicht kenne und nicht bereisen kann, sein. Und wenn ich beschließe, dass mir das, was ich durch das Guckloch erkennen kann, gefällt, dann kann ich immer noch voll Motivation beginnen die Mauern einzureißen und die Grenzen meiner Welt zu überwinden.
Bei Büchern bzw. Autoren, die in anderen Sprachen schreiben verlasse ich mich sehr gerne auf einen Babelfisch eine gute Übersetzung. Ich habe schon so oft selbstgefällige Predigten von selbsternannten kulturbeflissenen Weltbürgern gehört, dass nur das Original wahres Lesevergnügen und ein tiefgehendes Verständnis für den Autor und sein Werk bieten kann … aber hey, was soll das? Die Welt der Literatur ist groß und es wäre schade, ein gutes Buch nicht lesen zu können nur weil ich die Sprache nicht kann; und auch wenn ich definitiv zu der Sorte von Freak gehöre, die “Kundera im Original lesen können” als Grund fürs Tschechischlernen nennen, möchte ich nicht nicht Kundera lesen können bis ich irgendwann in ferner Zukunft gut genug Tschechisch kann um Kundera lesen zu können (ich kann schon Speisekarten lesen, aber Rom Prag wurde auch nicht an einem Tag erbaut…); und auch wenn Camus und Simone de Beauvoir im Original ganz bestimmt Nuancen haben die in der Übersetzung flöten gehen ist wirklich nichts so unübersetzbar, dass ich es nicht in der Übersetzung trotzdem besser verstehe als mit meinem frustrierend mickrigen Maturafranzösisch von vor zig Jahren.
Manchmal lese ich doch Übersetzungen von Büchern aus einer Sprache die ich kann in eine andere Sprache die ich kann – meist aus rein praktischen bzw. logistischen Gründen, oder einfach nur aus Spaß an der Freude. Ich bin extrem sensibel was schlechte Übersetzungen angeht, das kann mir zuweilen das Lesevergnügen total verderben (siehe z.B hier). Aber auch bei guten Übersetzungen ertappe ich mich oft, dass ich bei manchen Passagen (vorzugsweise bei besonders schönen) inne halte und darüber nachdenke, wie das wohl im Original formuliert wurde … nur um dann meist erst recht das Original zu beschaffen, um mich zu vergewissern, ob ich recht hatte oder nicht. 😉
Das Einzige, was ich niemalsnie in irgendeiner Übersetzung lesen kann und will ist Lyrik. Das ist für mich eine Kunstform für sich, die einfach aus stilistischen Gründen unübersetzbar ist und bleibt, weil sie meist in einer Sprache und für eine Sprache geschrieben wurde, mit einer Melodie und einem Rhythmus der unweigerlich verloren geht, auch wenn die Wörter übereinstimmen. Hab’ Bachmann auf Englisch, Neruda und Auden auf Deutsch und Salvat-Papasseit auf Spanisch zu lesen versucht und musste jedes Mal fast weinen … 
Hm, vielleicht sollte ich mein Studium der angewandten Babelfischologie doch noch irgendwann fertig bringen? Oder versuchen, Hamlet im klingonischen Original zu lesen? 🙂
Meine Situation ist wohl nicht unbedingt die Norm … aber hey, lasst euch eins gesagt sein: Einsprachigkeit ist heilbar! 😉