Ode an die Buchhandlung

Nostalgisch bin ich nur noch selten, und gerade jetzt möchte ich nicht nostalgisch oder gar verbittert sein, sondern hoffnungsfroh in die Zukunft sehen. In der FAZ bin ich vor einiger Zeit über einen Artikel gestolpert, der eine Serie eröffnet in der Schriftsteller ihre Lieblingsbuchhandlungen vorstellen. Und das will ich auch tun, einfach weil ich die Idee schön finde.

Ich muss etwas weiter ausholen: Mein Leben begann in der Wiener Vorstadt und meine ersten Erinnerungen sind dort fest verwurzelt, im alten Haus meiner Tante dort oben auf dem Berg von dem aus man an schönen Tagen bis Bratislava sehen kann und an einem magischen Ort den es längst nicht mehr gibt und der mich doch nachhaltig geprägt hat: die Buchhandlung Kleemann, auf halbem Weg zwischen der Kennedybrücke und dem Hietzinger Platzl. Sie war klein und äußerlich ziemlich unscheinbar, links davon ein altmodisches Zuckerlgeschäft und rechts davon das Eisgeschäft in dem meine großen Cousins immer in den Sommerferien gearbeitet haben (allerdings hat beides mich nie interessiert, zumindest nicht so sehr wie die Buchhandlung).

Ich hatte das unheimliche Glück, in einer literaturbegeisterten Familie aufzuwachsen und von Anfang an vorgelebt zu bekommen, dass Bücher etwas Schönes und etwas Wichtiges sind. Die Buchhandlung Kleemann war unsere Stammbuchhandlung, meine Eltern haben dort schon ihre Bücher gekauft lange bevor ich geboren wurde und seit ich lesen konnte, durfte ich dort auch Bücher kaufen. And the rest is history …

Ich erinnere mich daran, dass gleich neben dem Geschäft eine kleine Passage war, die von der Straße zu einem Innenhof hinter einem schmiedeeisenen Gitter geführt hat, und diese Passage war für mich ein Tunnel der Wunder, denn dort waren sorgfältig hinter Glas arrangiert Unmengen handverlesener Bücher in den Auslagen. Ich erinnere mich an eine schmale Türe, die immer leise geklingelt hat wenn man sie öffnete, an dunkles Holz mit Messing, an Parkett und Bodenfliesen (bitte, fragt mich nicht warum ich mich ausgerechnet an Bodenfliesen erinnere?!). Ich erinnere mich an Stellagen, die bis rauf zur Decke gingen und an viele Leitern, um das alles auch zu erreichen. Ich erinnere mich daran, dass vorne die “Erwachsenenbücher” standen, dass alles ganz fürchterlich eng und verwinkelt war, und dass das Hinterzimmer ganz und gar den “Kinderbüchern” gewidmet war. Ich erinnere mich daran, dass irgendwo zwischen den Regalen ein Käfig mit Wellensittichen stand, die glücklich vor sich hin getschirpt haben, und ich habe sie beneidet weil sie dort wohnen durften obwohl sie nicht einmal lesen konnten. Ich erinnere mich, dass ich jedes Mal überwältigt war wenn ich dort hineingegangen bin, als sei es das Wunderland oder ein Zauberschloss, und das obwohl das Geschäft aus einer erwachsenen Perspektive wahrscheinlich winzig war und kein Vergleich zu den massiven, mehrstöckigen Buchkaufhäusern, die heutzutage unsere Einkaufsstraßen und -zentren säumen. Ich erinnere mich daran meinem kleinen Bruder (dem Banausen) die Augen auskratzen zu wollen weil der viel lieber ins Spielzeuggeschäft gehen wollte und immer seinen Willen durchsetzen konnte. Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter uns manchmal einfach dortgelassen hat, zum Schauen und weil ich so vertieft in die Bücher war, dass sie mich nicht einmal ermahnen musste brav zu sein, während sie schnell ihre Besorgungen in den umliegenden Geschäften gemacht hat. Ich erinnere mich daran, dass ich manchmal gehofft habe, sie würde mich einfach dort vergessen und ich könnte für immer dort bleiben und lesen, vermisst hätte ich sie bestimmt nicht.

Die Buchhändlerin – logischerweise hieß sie für mich damals nur “die Frau Kleemann”, wahrscheinlich hieß sie aber ganz anders – war eine kleine, dünne, drahtige Frau mit kurzen salz-und-pfefferfarbigen Locken, einer silbernen Brille und einem gutmütig-milden Lächeln, älter als meine Mutter und jünger als meine Großmutter. Für mich war sie ein unangefochtenes Idol, genauer gesagt, sie war das Christkind zu jeder Jahreszeit. Sie wusste wirklich alles und sie kannte jedes Buch, und auch wenn ich nur ein Kind war und damals hauptsächlich Pferdebücher und Christine Nöstlinger lesen wollte, hat sie mich immer ernst genommen und hat immer gewusst welches Buch mir gefallen würde. Hin und wieder stand sie vor dem Regal, auf der Suche nach einer Empfehlung, und sagte zu mir: “Aber das hast du schon gelesen, gell?”, und dann habe ich artig genickt und war beeindruckt, denn wie gesagt, sie wusste alles und das hat mir mächtig imponiert. Ich stellte mir ihr Leben zwischen all den Büchern so spannend und erfüllend vor, ich dachte in kindlicher Naivität, sie würde den ganzen Tag dort in diesem kleinen Paradies sitzen und alle tausend Bücher selbst lesen, bevor sie sie verkaufte. Als ich irgendwann sagte, dass ich gerne Buchhändlerin werden würde wenn ich groß bin (wahrscheinlich nur deshalb, weil wir nicht den ganzen Bestand aufkaufen konnten und ich ihn trotzdem haben wollte), machte meine Mutter dennoch ein enttäuschtes Gesicht (denn in unserer Familie wird man nicht einfach Buchhändlerin, man wird Arzt oder zumindest irgendeine andere Subspezies von Doktor …), und daraufhin habe ich den Gedanken leider gleich wieder verworfen.

Da draußen in der Vorstadt ist die Zeit seit ungefähr Kaiser Franz Josef oder kurz danach (man nennt es auch anno dazumals, wenn man aus der Vorstadt und glasklares Schönbrunnerdeutsch die Muttersprache ist) stehengeblieben, doch leider nicht genug. Ich war ein Teenager, als die Buchhandlung Kleemann endgültig zugesperrt hat. Sie durfte etwas mehr als 120 Jahre alt werden, aber nicht älter … ein stolzes Alter, aber meiner bescheidenen Meinung nach längst nicht genug! Inzwischen ist dort ein Geschäft, das mondäne Polstermöbel und edle Vorhangstoffe verkauft. Sehr blumig und sehr passend, schließlich ist das dort die Parallelwelt der noblen Welt von Gestern, wo zwischen Biedermeiervillen und habsburgischem Pomp die Hofratswitwen ihre aufgeblasenen Föhnfrisuren nebst dummen Hunderln spazierenführen und in ihren altvatrischen Boutiquen und schnickschnacküberladenen Designerläden standesgemäß einkaufen gehen, bittesehr bittegleich, gnä’ Frau. Die bunten Reisebusse, die nur wenige hundert Meter entfernt Horden von Japanern vor dem Schloß Schönbrunn auskotzen, wirken hier genauso deplatziert wie das Kebapstandl bei der U-Bahnstation auf der Kennedybrücke. Ich bin nur mehr selten im Grätzl, vermisse es kaum, es ist mir fremd geworden … Mit der Buchhandlung Kleemann hat auch der letzte verfügbare Funken von Kindheit für mich zugesperrt, und eitlen Brokat zu sehen wo einst Bücher waren macht mich unfassbar traurig. Ich habe lang nicht mehr daran denken müssen, aber dann habe ich beim Aufräumen des Kellers zufällig dieses uralte Plastiksackerl gefunden, als sei es ein Zeitzeuge (der letzte physisch verbleibende, sozusagen), und auch das hat mich zu diesem Artikel inspiriert.

Aber ich sagte ja, ich will nicht nostalgisch sein sondern hoffnungsfroh. Die Buchhandlung Kleemann gibt es schon lange nicht mehr, aber ich habe inzwischen Ersatz gefunden – wenn schon nicht gleichwertig, dann zumindest annähernd. Zwischenzeitlich habe ich beim Ausbeuter bestellt und mich bei der Muse frustriert verlaufen und bin im Papiergeschäft dessen Name ironischerweise Buch sei unbefriedigt zurückgeblieben, weil das lesende Ich verloren war und es nicht besser wusste, aber das Gefühl zwischen meterhohen Stellagen zu stehen und nach Suchtbefriedigung zu suchen, das hat mir immer gefehlt … deshalb, nur deshalb, unterstütze ich jetzt ganz bewusst wieder kleine Buchhandlungen, auch wenn sie manchmal unpraktisch und altmodisch scheinen, weil ich das einfach nicht missen möchte.

Und was ist mit Euch allen, liebe Leserlein? Wo kauft Ihr Eure Bücher und warum? Habt Ihr so wie ich schöne Erinnerungen an den bibliophilen Kaufrausch, wann und wo auch immer? Ich würde mich freuen, wenn Ihr alle sie mit uns teilt und Eure Empfehlungen bekannt macht … denn ich bin felsenfest davon überzeugt, dass nicht alle den Weg alles Irdischen der Buchhandlung Kleemann gehen müssen und es eine Zukunft für die kleinen Buchhandlungen gibt, wenn wir alle zusammenhalten.

3 thoughts on “Ode an die Buchhandlung

  1. Awww, was für ein schöner Artikel von dir. Leider habe ich mich erst später für Bücher interessiert. Bei uns gab es aber auch nie so einen bezaubernden Buchladen, wie den von dir beschriebenen.
    Irgendwie musste ich, während ich deinen Artikel las, die ganze Zeit an den Film ‘eMail für dich’ denken. Kennst du den? Zauberhaft. ❤

...and thanks for all the fish!